Übersetzungen als Wettbewerbsfaktor
Dank Prozesse, nicht dank KI

Auftritt in zig Fremdsprachen dank KI? Übersetzungen ohne Prozess sind wie Kompass ohne Nadel: nutzlos. KI macht sie schneller – aber nicht besser, denn Sprachtransfer ist noch lange keine Übersetzung. Wer sich im fremden Markt etablieren und nicht dem Wettbewerb in die Hände spielen will, sollte auch auf diesen Unterschied achten.
Übersetzungen, KI & die unterschätzte Macht der Prozesse
«Ich wünsche dir viel Erfolg – und hoffe, KI nimmt dir nicht alle Aufträge deiner Selbständigkeit weg.» So fing mein Tag an! Das war sicher total nett gemeint, und für mich derAnlass, etwas klarzustellen.
Für viele ist Übersetzung ein reiner Sprachtransfer. Und KI eine willkommene Gelegenheit, schnellere und günstigere Übersetzungen zu bekommen. Die Wahrheit ist: Übersetzungen sind kein Selbstläufer und schon gar nicht Buchstabenschieberei.
Übersetzen ist ein Prozess. Und dieser beginnt lange vor der eigentlichen Übertragung ins Fremdsprachliche..
Was zu einem Übersetzungsprozess gehört
Damit ein mehrsprachiger Auftritt funktioniert, reicht es nicht, Wörter von A nach B zu schieben. Ein sauberer Prozess umfasst unter anderem:
❎ Quelltext-Check – ist der Originaltext klar, fehlerfrei, logisch?
❎ Vorgaben & Ressourcen – Terminologie, Referenzen, Tonalität, Sprachleitfaden
❎ Koordination – mit Autor:innen, Grafiker:innen, Vertonung oder anderen Stakeholdern
❎ Übersetzungslektorat & Freigabe – Qualitätssicherung durch Menschen
❎ Systemintegration & Datentransfer – saubere Abläufe zwischen Tools und Kanälen
Welcher Ablauf sinnvoll ist, hängt stark vom Unternehmen ab. Ein Newsroom braucht andere Strukturen als ein junges Start-up, in dem alle an allem beteiligt sind.
Ohne festen Ablauf keine Wirkung? Doch, nur eine andere
Fehlt der klare Ablauf oder wird er nur halbherzig gelebt, passiert kein Übersetzen – sondern nur Sprachtransfer.
Setzt man in einem schwachen Prozess KI ein, um schnell einen Output zu bekommen, wird man nicht enttäuscht: fremdsprachiger Content wird in Windeseile produziert. Wahrscheinlich schneller als Sie die E-Mail-Adresse Ihrer Lieblingsübersetzerin hätten tippen können. Ob der Content, bringt, was er soll, ist eine andere Frage.
Doch am Ablauf hat sich derweil nichts verbessert. Das eigentliche Problem bleibt ungelöst und es kommt noch eins hinzu: Mit der Zeit verlieren Profil und Marke an Schärfe. Aus dem einfachen Grund, dass Einheitlichkeit und Durchgängigkeit nicht zu den Stärken von KI gehören.
Der Content existiert zwar in einer anderen Sprache, aber die gewünschte Wirkung bleibt aus – mit Betonung auf «gewünscht». Oft wird vergessen, dass Texte nie wirkungslos bleiben, auch schlechte nicht: im besten Fall reissen sie die Interessenten nicht mit, im schlimmsten schrecken sie sie ab.
Würden Sie sich etwa von einer Agentur angesprochen fühlen, die sich so vorstellt*:
Wir lieben die Marken, die wir Leben geben. Wir schaffen Markenengagement durch Erlebnisse von Verbindung zwischen Menschen und Marken. Weil ein positives und redliches Engagement das Längste dauert und zum Erfolg der Marken beiträgt. Wir sprechen innovative Unternehmen an, um gemeinsam aussergewöhnliche Dinge voranzuschieben und das Unverständliche wirklich werden zu lassen. Unsere Projekte gehen weit über die einfache Grafik hinaus – [Agenturname] ist der kreative Architekt von holistischen Erfahrungen.
*Es handelt sich um die Rückübersetzung eines live geschalteten Webauftrittes [nachgeschlagen am 05.09.2025 um 17h49, Quelle auf Anfrage]
KI ist kein Turbo für schlechte Prozesse
KI kann beeindrucken. Sie liefert Masse, Geschwindigkeit, manchmal auch erstaunlich gute Formulierungen. Aber:
- Das Problem ist weniger ob KI eingesetzt wird, sondern wie.
- Und oft auch: dass viele glauben (oder glauben wollen), KI mache den besseren Job.
In Wirklichkeit allerdings können viele Unternehmen gar nicht beurteilen, ob ihre fremdsprachigen Inhalte wirklich flüssig sind – oder ob die Botschaft unbemerkt verfälscht wurde.
Deshalb lenkt KI häufig gerade davon ab, die wirklich entscheidende Frage zu stellen:
Warum wollen wir einen mehrsprachigen Auftritt?
Warum übersetzt man überhaupt?
Übersetzen ist kein Selbstzweck.
Man übersetzt, um auf einem neuen Markt sichtbar zu werden.
Aber: Jeder Markt ist bereits von lokalen Wettbewerbern besetzt, die Sprache, Kultur und Kunden perfekt verstehen.
Wer da mit einem zweitklassigen Auftritt vorstellig wird, macht es sich selbst unnötig schwer.
Oder anders gesagt: Ein schwacher Prozess kombiniert mit KI ist das beste Rezept für einen Auftritt, über den sich vor allem die Konkurrenten freuen.
FAZIT
Wenn ihr die erste Frage beantwortet habt – und wirklich wisst, warum ihr diesen Aufwand betreiben wollt – dann stellt euch direkt im Anschluss die nächsten beiden:
👉 Wie sieht unser Übersetzungsprozess aus?
👉 Trägt er dazu bei, dass unser Auftritt in neuen Märkten wirklich überzeugt?
Wer diese Fragen ehrlich beantwortet, wird feststellen: KI kann ein Werkzeug sein. Aber ohne sauberen Ablauf bleibt sie eine schnelle Abkürzung in die falsche Richtung.
Nur wer Ziel und Prozess im Griff hat, macht Übersetzungen zu einem Wettbewerbsvorteil – nicht zu einem Risiko..
Über die Autorin
Bonjour! Ich bin’s, Christine Eulriet, begeisterte Französischübersetzerin. Mein Blog ist das Ticket für hinter die Kulissen meines Berufs: Wir schauen zusammen, worauf es ankommt, wenn Übersetzungen von mittelmässig zu wow werden sollen. Schlechte Übersetzungen? Nichts womit man leben muss: Hier erfahren Sie, wie Sie Ihren mehrsprachigen Auftritt beherrschen.
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